Warum gelingt Gitarristen so selten, endlich fehlerfrei zu spielen?
„Jetzt übe ich schon ein halbes Jahr an meinem Programm und kann meiner Familie noch nicht einmal ein einziges Stück richtig vorspielen.“
Das hört man öfter - leider. Was ist da los, muss das so sein?
Man muss natürlich nicht gleich die Gitarristen speziell an den Pranger stellen, das ist ja eine Frage, die sich allen Musikern stellt. Aber Experten sind sich einig, dass das Instrument Klassische Gitarre das schwierigste ist oder mindestens zu den schwierigsten gehört. Und das allein von der Komplexität der Bewegungsabläufe: wir müssen nicht nur die linke und die rechte Hand synchronisieren, sondern müssen für einen einzigen gegriffenen Ton beide Hände aktivieren.
Ganz anders als beim Klavier, wo bereits ein Finger allein einen Ton erzeugt. Jetzt kann man sagen „Nun gut: das müssen die Geiger ja auch, die haben den Bogen und müssen damit sehr differenziert umgehen“. Ja, aber die Geiger spielen selten mehrstimmig, das ist nicht ihre Domäne. Aber das können wir eben auf der Gitarre - und vor allem wird dies insbesondere von der klassischen Gitarre erwartet. Also allein von daher ist es schon schwierig, fehlerfrei durch die Noten zu kommen.
Aber es gibt noch weitere Gründe dafür, warum das so schwer fällt
Das hat damit zu tun, das Gitarristen oft ihrer Ansprüche zu hoch stellen - zu hoch für das, was ich momentan leisten können. D.h. sie wählen sich zu schwere Werke aus, an denen sie zu lange sitzen und schließlich daran verzweifeln.
Vor allem wenn sie gleichzeitig nicht einen Plan haben, wie man sich bei einem einen Werk von 10 Minuten Dauer zum Beispiel, ohne Unterbrechungen die Ressourcen einteilt. Wie üben Sie so etwas, wie gehen Sie dabei vor: sollte man es zuerst auswendig können, macht man zuerst einen Fingersatz, gibt es eine ideale Notenausgabe - dann brauchen Sie vielleicht garnicht mehr über Fingersätze nachzudenken. Wie also sollten Sie dabei vorgehen?
Da fühlen sich viele oft verloren und das Ganze resultiert in einem oft chaotischen Tun, kostet Zeit und am Ende sind viele frustriert und brechen das Üben ab. Das Stück verschwindet irgendwie aus dem Gesichtskreis und die Laune geht auch den Bach hinunter.
Bringen uns zu hohe Ansprüche zu Fall?
Darüberhinaus gibt es noch weitere Aspekte: nach meiner Erfahrung ist eine der häufigsten Ursachen für dieses Scheitern, dass viele Gitarristen garnicht wissen, was sie mit einer jeweiligen Passage genau ausdrücken wollen. Sie wissen nicht, wie sie sie von der Komposition her verstehen, wie sie sie interpretieren wollen - und damit bleibt auch die emotionale Ausrichtung des Spiels unbestimmt. Das ist oft nicht klar: man spielt ein bisschen an den Noten entlang - zum Teil halb auswendig - und macht sich dann nicht mehr weitere Gedanken. Man möchte eigentlich nur noch sehen, dass man alles einigermassen fehlerfrei hinbekommt. Aber genau das will dann nicht gelingen - es bleiben einfach zu viele Fragen offen.
Unser Gehirn ist mit dem klassischen Gitarrenspiel extrem beansprucht. Hier die Gründe:
- die physische Seite - also die Koordination der Finger
- die Wahrnehmung der Partitur
- das Umsetzen von Noten in Griffe
- die Interpretation der musikalischen Struktur
- das Erfassen der emotionalen Aussage
Bei keinem Einzelnen dieser Aspekte darf es eine Schwachstelle geben. Sonst ist dies der Moment, der dazu führt, dass das Netz nicht hält und dass Fehler passieren. (Ein schlechter Pilz verdirbt das ganze Gericht!)
Wenn man nun nicht gerade auf der Bühne sitzt oder vielleicht einfach als Amateur aus Freude Gitarre spielt, dann ist ein Fehler nicht der Weltuntergang. Aber gerade Amateurgitarristen sind hier nun besonders empfindlich mit Fehlern, weil sie oft extrem hohe Ansprüche an sich stellen. Ansprüche, die sie sich im existenziellen Sinn garnicht an sich stellen müssten, denn sie sind ja nicht darauf angewiesen, damit ihr Geld zu verdienen. Also müssen sie auch der Welt nichts beweisen oder irgendeiner Erwartung entsprechen.
Trotzdem, es ändert nichts daran, ob wir nun Profis oder Amateure sind, der Vorgang ist derselbe: wir haben unser Instrument, wir haben die Noten vor uns, wir haben unsere Hände und wir wollen schön spielen. Da gibt es im Wesentlichen keinen Unterschied. Und deswegen erscheint es mir absolut notwendig, dass ein Prozess des musikalischen Verstehens aufgebaut wird, der mit dem Stück wächst und so dann sukzessive die künstlerischen und technischen Entscheidungen beim Üben getroffen werden können.
Dass heisst, wenn man sich darüber klar wird:
- Welches Tempo hat das Stück?
- Welche Stilistik?
- Welche Artikulation möchte ich in einer bestimmten Passage realisieren?
- Was drückt ein melodisches Thema aus?
- Wie gestalte ich eine harmonische Entwicklung?
- Wie gehe ich mit überraschenden Akkorde um, die das Stück vielleicht in eine ganz andere Tonart bringen?
Das alles sind Fragen, die beantwortet werden müssen - man kann nicht nur in die Noten starren und sehen, dass die Finger richtig sitzen.
„If you practice mistakes you will perform mistakes" - stimmt das so?
„If you practice mistakes you will perform mistakes“. Dieses Zitat von Manuel Barrueco kursierte in den 80er Jahren. Es ist so einfach wie einleuchtend und birgt die schlichte Wahrheit: wenn wir bei der Einstudierung schludern und uns ständig Fehler durchgehen lassen, müssen wir uns nicht wundern, wenn es auf der Bühne schief geht. Schließlich haben wir die Fehler und Ungenaugikeiten mit einstudiert.
Auf der anderen Seite kann sich ein zu einseitiges Befolgen dieses Spruchs auch rächen. Denn wenn die musikalische Botschaft, die Aussage, die man über dieses Stück machen möchte nicht klar wird und wenn die Freude, dieses Stück - das man so verehrt - zu spielen, zu kurz kommt, dann wird man sein Publikum nicht erreichen. Dann fehlen die Begeisterung und die emotionale Aussage, die das Publikum begeistert. Und wenn man an dieser Stelle nicht genug zu bieten hat, werden auch die Fehler passieren (sie warten geradezu darauf, uns zu ärgern).
Unser Gehirn funktioniert eben nicht nur mit automatisierten Fingerbewegungen, das ist noch nicht Musik. Und es ist naiv zu glauben, dass wir das erst einmal können müssen um dann mit der musikalischen Gestaltung zu beginnen. Das ist leider vollkommen falsch: - das Haus baut man nicht vom Dach, sondern vom Fundament auf.
Genauso ist es in der Musik. Das Verstehen der Musik mit ihren Ausdrucksmöglichkeiten steht am Anfang. Und dann entwickeln wir unseren persönlichen Fingersatz nach den Botschaften, die die Partitur uns gibt und nach unserem eigenen Vermögen. In dieser Reihenfolge müssen wir es machen. Da gibt es keinen Unterschied zwischen Profi und Amateur - da müssen wir alle durch.
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I will guide you to your personal musical goals with the WULFIN LIESKE ARTISTIC MENTORING programme. To do so, I will look at you as a whole individual and guide you to new artistic heights.